Die Entstehung

Am 15. April 1874 trat im Großherzogtum Hessen eine neue Verfassung in Kraft. Mit dieser Verfassung wurden die lutherischen und die reformierten Kirchen zwangsweise zu einer „Union“ vereinigt – gegen den Protest von 114 Geistlichen, da die Vereinigung Kompromisse in Lehre und Liturgie erforderte.

Auch der Höchster Ortspfarrer Karl Friedrich Bingmann und ein Teil seiner Gemeinde lehnten diese Verfassung ab. Deshalb wurde Pfarrer Bingmann am 14. Juni 1874 seines Amtes enthoben und musste Höchst verlassen.

Am 30. Juli 1874 richteten 44 Höchster Familienväter und 21 Witwen und Alleinstehende eine Eingabe an den Landesherrn. Darin hielten sie an dem „öffentlich und anerkannten Bekenntnisstande unserer lutherischen Gemeinde“ fest und betrachteten sich nach wie vor als die „evangelisch-lutherische Gemeinde dahier zu Höchst an der Nidder“. Sie wollten für sich „Glaubens- und Gewissensfreiheit reklamieren“ und keinen anderen als ihren Pfarrer anerkennen und keine anderen Kirchenvorsteher als die bisher gewählten.

In der Folgezeit wanderte die kleine Gemeinde, deren Mitglieder bald die „Höchster Renitenten“ genannt wurden, Sonntag für Sonntag 7 km nach Stammheim. Hier konnte Pfarrer Bingmann Gottesdienste feiern, ohne dass der Bürgermeister – trotz behördlicher Ermahnungen – einschritt. Allerdings konnte Pfarrer Bingmann keine Taufen, Konfirmationen oder sonstigen geistlichen Ämter ausüben; deshalb mussten die Höchster bei diesen Anlässen nach Usenborn gehen, wo bereits 1874 eine evangelisch-lutherische Freikirche gegründet und genehmigt worden war.

In Höchst gab es zu dieser Zeit die „Milde Stiftung“, die etwa hundert Jahre zuvor von den Günderrode gegründet worden war. Die Stiftung wurde gemeinsam von den Günderrode und dem Ortspfarrer verwaltet und war allen Bedürftigen zugänglich, gleich welcher Religion. Die „Renitenten“ jedoch wurden von dieser Beihilfe ausgeschlossen. Da sie die Kosten für die Gesundheitspflege mit einschloss, übte dieser Ausschluss starken wirtschaftlichen Druck auf die Betroffenen aus.

Erst 1878 gestattete Großherzog Ludwig IV. Religionsgemeinschaften außerhalb der neu formierten Landeskirche zu bilden. Voraussetzung war und ist bis heute, beim Amtsgericht den Austritt aus der Landeskirche zu erklären. Im Februar 1879 erklärten Höchster beim Amtsgericht Altenstadt unter Protest ihren Austritt aus einer Kirche, in die sie nie eingetreten waren, um in ihrer Gemeinde und bei ihrem Pfarrer bleiben zu können.

1882 schenkte ein Höchster Bürger der jungen Kirchengemeinde ein Stück Land am „Eicher Weg“ nahe der Ortsgrenze. Am 15. Juli 1885 war Kirchweih und Pfarrer Bingmann konnte wieder nach Höchst ziehen – in das neue Pfarrhaus.

Die St. Martinsgemeinde heute

Sie ist eine Gemeinde, die sich gebunden weiß an die Heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments als das unfehlbare Wort Gottes, an die altkirchlichen Glaubensbekenntnisse und die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche. Sonderlehren, die die übrige Christenheit nicht kennt, führt sie nicht.

Die St. Martinsgemeinde gehört zur Selbständigen Evangelisch Lutherischen Kirche in Deutschland (SELK). Rund 40 000 Menschen werden von hundert Pfarrern in 160 Gemeinden betreut. Statt Kirchensteuer zahlt jeder seinen Beitrag selbst an die Gemeindekasse.

Sie ist eine mit Leben erfüllte Gemeinde, die durch die tätige Mitarbeit ihrer Gemeindeglieder gestaltet wird.

So zum Beispiel wird der Kindergottesdienst, der gleichzeitig mit dem Gottesdienst stattfindet, von Frauen aus der Gemeinde vorbereitet und durchgeführt.

Das sonntagliche Orgelspiel wird von Gemeindegliedern in ehrenamtlicher Tätigkeit übernommen.

Zur weiteren musikalischen Bereicherung der Gottesdienste tragen die Chöre – der Posaunenchor seit 1907, der Kirchenchor sogar seit 1899 – und der neu gegründete Orff-Kreis bei. Außerdem finden in jedem Jahr Posaunen- und Kirchenmusikfeste der SELK statt, an denen beide Chöre regelmäßig mitwirken. Auch bei gemeinsamen Veranstaltungen mit der landeskirchlichen Gemeinde in Höchst oder bei Festveranstaltungen des Dorfes sind die Chöre dabei.

Die Kinder- und Jugendarbeit in der Gemeinde ist überaus lebendig; es gibt eine Mutter-Kind-Gruppe („Krabbeltreff“), und eine Kindergruppe. Einmal im Jahr wird gemeinsam mit den Kindergruppen der Landeskirche ein großes Kinderfest veranstaltet, das immer großen Zulauf hat.

Grade mit diesen Aktivitäten werden Menschen, die (noch) nicht zur SELK gehören, angesprochen. Die Kinderarbeit ist deshalb ebenso wie die kirchenmusikalische Arbeit ein wichtiger Beitrag zur Außenwirkung unserer Gemeinde.

Neben dem Mitarbeiterkreis zur Gestaltung des Kindergottesdienstes gibt es den Gebetskreis, den Gemeindebibelkreis und die Gemeindebrief-Redaktion. Der Gemeindebrief – das Informationsmedium unserer beiden Gemeinden – wird gemeinsam von Pfarrer und Gemeindegliedern zusammengestellt. Auch hier sind Anregungen und Mitarbeit herzlich willkommen. 

Die Gemeinde besteht aus ca. 130 getauften Gemeindegliedern.

Das Kirchengebäude selbst ist eine reizvolle Kombination von Pfarrhaus und Pfarrkirche in Ziegelmauerwerk, unverputzt mit Werksteinteilen. Im Inneren befindet sich ein hölzernes Kreuzgewölbe von drei Jochen, die neugotische Ausstattung ist eher sparsam; das Pfarrhaus ist der Kirche von Westen her vorgelagert. Wegen der interessanten Lösung der beiden Nutzungen und der Bedeutung für die Glaubensgeschichte in Höchst wurde die Kirche 1982 zum Kulturdenkmal erklärt.

Die Kirche wurde am 15 Juli 1885 geweiht; sie bietet Raum für etwa 90 Besucher. Der Gemeinderaum mit etwa 50 Plätzen reicht für die Gemeindearbeit nicht mehr aus, so dass die Erweiterung der Räumlichkeiten angestrebt wird.